P P wie Parlament

Die da oben in Bern...

In repräsentativen Demokratien können Parlamente (und Regierungen), wenn sie mal gewählt sind, schalten und walten, wie sie wollen (zumindest theoretisch). In der Schweiz steht dem Parlament immer noch das Volk als Korrektiv gegenüber. Am wichtigsten im Parlament sind die Kommissionen, denen ein genialer Dokumentarfilm ein Denkmal gesetzt hat.

Als der Schweizerische Bundesstaat 1848 entstand, war die Schweiz das einzige Land in Europa, das über ein gewähltes Parlament verfügte. Rundherum nur Kaiserreiche, Königreiche und Fürstentümer. Heute sind in Europa alle Länder als repräsentative Demokratien organisiert, die Bevölkerung wählt also alle paar Jahre ein Parlament, das die politischen Entscheidungen fällt. Auch jetzt ist die Schweiz wieder die Ausnahme: Das Parlament sieht sich einem grossen Korrektiv gegenüber, dem Volk, das mehrmals pro Jahr über Sachvorlagen entscheidet und das letzte Wort hat. 

Wen repräsentiert das Parlament? 

Die 246 Frauen und Männer, die viermal pro Jahr zusammenkommen,  sind sozusagen der repräsentative Anteil in der halbdirekten Demokratie (siehe auch D wie direkt) der Schweiz. Im Nationalrat (200 Sitze) sitzen die gewählten Volksvertreterinnen und -Vertreter der Kantone (proporzional zur Bevölkerungszahl der Kantone und zur Wählerstärke der Parteien in den jeweiligen Kantonen), der Ständerat (46 Sitze) ist die Vertretung der Stände (2 Ständeräte pro Kanton bzw. einer pro Halbkanton, unabhängig von der Grösse der Kantone). Speziell ist in der Schweiz die absolut gleichberechtige Stellung des Ständerats als Ausdruck des starken Föderalismus. 

Das Parlament (auch als Legislative bezeichnet) entwirft und entscheidet über Gesetze, wählt die Mitglieder des Bundesrat (und diejenigen des Bundesgerichts) und kontrolliert die Regierung (u.a. mit ständigen Geschäftsprüfungskommissionen). In erster Linie aber sollte es die Bevölkerung politisch repräsentieren. Ob es das wirklich tut, kann man bezweifeln: Ältere Männer aus höheren sozialen Schichten, die oft Juristen, Berater oder Bauern sind, sind deutlich überrepräsentiert. Der Vorwurf der schlechten Repräsentation fällt allerdings auf die Wählerinnen und Wähler zurück; sie haben es in der Hand, bei den nächsten Wahlen ihre Stimme eher jüngeren Kandidatinnen aus mittleren bis tieferen sozialen Schichten mit unterschiedlichem Berufshintergrund zu geben. 

Koalitionen statt starres Regierungs-Oppositions-Verhältnis

Die parteipolitische Zusammensetzung der beiden Räte unterscheidet sich stark; im Nationalrat gibt es starke Pole mit SVP und FDP auf der rechten und SP mit Grünen auf der linken Seite, dazwischen eine eher zersplitterte und schwache Mitte. Im Ständerat dagegen spielen die Mitteparteien CVP und FDP die zentrale Rolle. Kein Wunder, sind sich die beiden Räte oft nicht einig. Da sie sich aber in unserer Konsensdemokratie einig werden müssen, hat die Suche nach dem Kompromiss zwischen den Räten mit der Einigungskonferenz sogar eine eigene Institution erhalten. 

Da es in der Schweiz kein Regierungs-Oppositions-Verhältnis gibt, werden je nach Sachgeschäft verschiedene Koalitionen gesucht und geschmiedet (siehe auch O wie Opposition). Meist sind es die Mitte-Parteien (gerade auch die CVP und die BDP, die bei Wahlen oft zu den Verlierern gehören), die im Nationalrat in wechselnden Mitte-Links- oder Mitte-Rechts-Koalitionen die Beratungen in unterschiedliche Richtungen lenken und so das Zünglein an der Waage spielen. 

Formal besitzt das Parlament ausserordentlich weitreichende Kompetenzen (Gesetzgebungs-Prozess, Wahlrechte etc.) gegenüber der Regierung. Dagegen steht, dass es im internationalen Vergleich wenig professionalisiert und mit wenig Ressourcen ausgestattet ist. Wenn man diese beiden Faktoren kombiniert, dann ergibt sich für die Schweiz ein durchaus ausgewogenes Verhältnis zwischen Parlament und Regierung. 

Die Politik wird in den Kommissionen gemacht

Die Kommissionen des Parlaments sind das eigentliche Zentrum der Schweizer Politik. In den ständigen Sachbereichs-Kommissionen von National- und Ständerat werden die politischen Geschäfte vorbesprochen, die Entscheide bzw. Vorschläge der Kommissionen werden im Rat mehrheitlich bestätigt. Die Kommissionen tagen hinter verschlossenen Türen, es gilt das Kommissionsgeheimnis, das heisst, es dürfen keine Details aus den Sitzungen an die Öffentlichkeit kommen. Dieses Prinzip ist sowohl Segen wie Fluch der Parlamentsarbeit; es entzieht die Kommissionen der Kontrolle durch die Öffentlichkeit und macht sie dadurch zu eigentlichen «Dunkelkammern», gleichzeitig ermöglicht es den Parteien, ungeachtet von Reaktionen von (potenziellen) Wählerinnen und Wählern Kompromisse zu suchen und zu finden. Wie und dass es funktioniert, hat niemand besser erklärt als Jean-Stéphane Bron in seinem grossartigen Film «Mais im Bundeshuus». 


Literatur: 

Adrian Vatter: Das politische System der Schweiz. Baden-Baden, Nomos 2016, 2. Auflage (S. 362)

«Der Bund kurz erklärt»: Publikation der Bundeskanzlei über Politik, Verwaltung und Justiz in der Schweiz. 

Website des Schweizerischen Parlaments: www.parlament.ch

«Mais im Bundeshuus» (Originaltitel: «Le génie helvetique»), Dokumentarfilm von Jean-Stéphane Bron, 2003.