D D wie direkt (oder doch nicht so direkt)

Die halbdirekte Demokratie und ihre Schwächen

Die Schweiz ist eine direkte Demokratie, soviel ist ja klar. Oder doch nicht? Tatsächlich enthält unser politisches System Elemente einer direkten wie auch einer repräsentativen (indirekten) Demokratie. Deshalb spricht man von einer halbdirekten Demokratie. Das erklärt aber noch nicht, weshalb die Schweiz im weltweiten Demokratie-Vergleich nur mässig abschneidet. 

Die Wählerinnen und Wähler bestimmen in der Schweiz alle vier Jahre das Parlament, das dann das Volk im politischen Prozess repräsentiert (indirekte Demokratie), doch darüber hinaus sind die Bürgerinnen und Bürger drei- bis vier Mal pro Jahr aufgerufen, über Sachfragen und Gesetze zu entscheiden (direkte Demokratie). Deshalb ist die Schweiz ganz korrekt eine halbdirekte Demokratie. Allerdings heisst halb hier nicht halbwertig, denn in keinem anderen Staat der Welt gibt es auch nur annähernd so weitgehende direkte Volksrechte wie in der Schweiz. Das Volk, so beschreibt es Adrian Vatter in seinem Standardwerk über das politische System der Schweiz, trifft ohne Ausnahmen die abschliessenden Entscheidungen über alle Verfassungsfragen des Landes und ebenso unterstehen die Entscheide des Parlaments der Nachentscheidung durch die Stimmbürger.

Kein Musterland der Demokratie

So könnte die Schweiz eigentlich als Musterland der Demokratie gesehen werden. Doch sie schneidet interessanterweise in verschiedenen Demokratie-Ratings eher dürftig ab. Im aktuellen Demokratie-Index von «The Economist» belegt sie den 10. Platz, im schwedischen V-Dem-Ranking immerhin den 4. Platz. In einem Demokratiebarometer der Universität Zürich von 2012 rangierte die Schweiz sogar nur auf dem 14. Platz (die vordersten Ränge belegen in allen Rankings die nordischen Staaten). Es sind vor allem zwei Gründe, die der Schweiz eine bessere Platzierung verwehren: die intransparente Parteienfinanzierung und die mangelnde Stimm- und Wahlbeteiligung.

In Sachen Parteienfinanzierung und Transparenz ist die Schweiz tatsächlich ein Entwicklungsland; vom Staat bekommen die Parteien nur die Fraktionsbeiträge zur Finanzierung der Fraktionssekretariate, entsprechend gross ist der Finanzbedarf aus anderen Quellen. Aber: Kein anderes europäisches Land kennt so wenig Regelungen zur Finanzierung der Parteien, was der Transparenz und der Gleichbehandlung der Parteien nicht gerade förderlich ist. Die Schweiz wird deshalb von Anti-Korruptions-Institutionen regelmässig kritisiert.

Schlechte Beteiligung im Mutterland der direkten Demokratie?

Zur mangelnden Stimm- und Wahlbeteiligung: Unter A wie abstimmen zeige ich auf, dass die Beteiligung grösser ist, als sie in den nackten Zahlen erscheint (aktuell: 46% bei Abstimmungen, 48% bei Wahlen). Zudem ist es eine methodische Schwäche der meisten Demokratie-Indices, dass sie ein Land wie die Schweiz, in dem alle paar Monate auf Bundes-, Kantons- und Gemeinde-Ebene abgestimmt wird, mit Ländern vergleicht, in denen nur alle paar Jahre eine Abstimmung stattfindet. Ein anderer Faktor spielt in Sachen Beteiligung allerdings eine noch grössere Rolle: Weil die Schweiz auf Bundesebene kein Stimm- und Wahlrecht für die Ausländer kennt (auf Kantons- und Gemeindeebene nur in wenigen Kantonen bzw. Gemeinden), ist gleich mehr als ein Viertel der Bevölkerung von der politischen Partizipation ausgeschlossen.

Hier sind wir bei einem gewissen Widerspruch der direkten Demokratie angelangt. Eigentlich sollen die Instrumente der direkten Demokratie dem Willen des Volkes Nachdruck verleihen und gerade Minderheiten, die bei politischen Entscheidungen zuwenig berücksichtigt werden, Einflussmöglichkeiten geben. Das funktioniert auch in weiten Teilen: Die Politikwissenschaften sprechen von einer hohen Integrationswirkung der direkten Demokratie. 

Verzögerungseffekte durch die Volksrechte

Anderseits werden grosse gesellschaftliche Gruppen über lange Zeit von den politischen Rechten ausgeschlossen: die Frauen bis 1971 (der Kanton Appenzell Innerrhoden musste 1990 dann noch vom Bundesgericht zu seinem Glück gezwungen werden), die Ausländer bis heute. Adrian Vatter spricht in diesem Zusammenhang von «offensichtlichen Verzögerungseffekten durch die Volksrechte (…), was den Schutz der Grundrechte einzelner gesellschaftlicher Gruppen anbetrifft.»

Bleibt dieser Widerspruch bestehen, wird’s auch in den nächsten Jahren nichts mit Top-Platzierungen in den internationalen Demokratie-Ranglisten.


Literaturhinweis: Adrian Vatter: Das politische System der Schweiz. Baden-Baden, Nomos 2016, 2. Auflage.