Die Schweiz ist weltweit eines der wenigen Länder, das keine gesetzliche Regelung zur Finanzierung von Parteien und Abstimmungs-Kampagnen kennt. Eine Offenlegung der Finanzen passe nicht zum direktdemokratischen System der Schweiz, war bisher die Standardantwort von Regierung und (bürgerlichen) Parteien. Das könnte sich nun ändern.
Deutlich mehr als 50 Millionen Franken hat der Wahlkampf 2019 gemäss Swissinfo gekostet – 8 Millionen für die nationalen Parteien, 17 Millionen für die kantonalen Parteien, und gut 30 Millionen für persönliche Kampagnen der Kandidierenden. Die Zahlen sind allerdings mit Vorsicht zu geniessen, denn sie basieren auf Selbstdeklaration der Parteien (und zum Teil auf Schätzungen, weil z.B. die SVP keine Zahlen bekannt gibt). Wir wissen auch nicht, wie viel die Pro- und Contra-Komitees für die jeweiligen Abstimmungskampagnen ausgeben. Denn die Schweiz ist das einzige Land unter allen 47 Mitgliedern des Europarates, das keine gesetzliche Regelung zur Parteienfinanzierung kennt. Die fehlende Finanzierungs-Transparenz ist auch der wichtigste Grund, dass die Schweiz in Ranglisten zur Qualität der Demokratie nicht überall an der Spitze steht (siehe auch «D wie direkt»).
Die Kantone machens vor
Jahrzehntelang hatte das primär linke Anliegen nach mehr Transparenz über die Politik-Finanzierung keine Chance im Parlament und vor dem Volk. Das könnte sich nun ändern. So haben die Stimmbürger der konservativen Kantone Fribourg und Schwyz im Frühling 2018 je eine kantonale Transparenz-Initiative angenommen. Bereits in Kraft sind Transparenz-Regeln in den Kantonen Neuenburg, Genf und Tessin. Und die nationale Transparenz-Initiative, die voraussichtlich 2020 zur Abstimmung kommt, hat Unterstützung bekommen von den Staatspolitischen Kommissionen von National- und Ständerat; in Form eines indirekten Gegenvorschlags, der etliche Forderungen der Initiative aufnimmt. So müssten alle Parteien ihre Finanzierung offenlegen, das heisst ihre Einnahmen und allenfalls Zuwendungen über 25'000 Franken. Ebenso müssen Personen oder Organisationen, die sich an einer Wahl- oder Abstimmungskampagne beteiligen, die Finanzen transparent machen, sofern sie mehr als 250'000 aufwenden. Verboten wären anonyme Spenden und solche aus dem Ausland.
Digitale Generation denkt anders
Transparenz wird nicht nur bei der Parteienfinanzierung gefordert, sondern auch beim Lobbying und bei den Interessen-Vertretungen. Auf der Parlaments-Homepage kann man zwar die Interessenbindungen der Parlamentarierinnen und Parlamentarier einsehen, diese beruhen aber auf Selbstdeklaration. Was die Lobbyarbeit betrifft, ist seit vier Jahren ein Vorstoss des ehemaligen SP-Ständerats Didier Berberat hängig, der ein Register der Lobbyisten mit Auftraggebern und Mandaten fordert. Mit dem neuen, deutlich grüneren, jüngeren und weiblicheren Parlament könnte dieses Anliegen Schub bekommen. Bereits am ersten Tag der Legislatur hat der Nationalrat den Berberat-Vorstoss unterstützt. Überhaupt scheint Transparenz für die jüngere, digitale Generation unabhängig von der politischen Ausrichtung immer mehr eine Selbstverständlichkeit zu sein.
Kann man Abstimmungen und Wahlen kaufen?
Rund um die Transparenz stellt sich natürlich immer wieder die Frage: Kann man Abstimmungserfolge oder Wahlerfolge eigentlich kaufen? Jein, meint Politologie-Professor Adrian Vatter und stützt sich dabei auf verschiedene Untersuchungen: «Man kann Abstimmungen nicht einfach kaufen, aber das Geld hat einen leicht positiven Effekt auf das Abstimmungsergebnis. Am ehesten funktioniert es noch bei komplexen Geschäften, zu denen die Leute keinen direkten Alltagsbezug haben» (Der Bund, 20.12.18). Vatter würde sich in der Schweiz «aus demokratietheoretischen Gründen» mehr Transparenz wünschen, die aktuelle Situation bezeichnet er als «Tolggen im Reinheft.» Noch deutlicher wird Georg Lutz, Politologe von der Universität Lausanne: „Es ist heute nicht akzeptabel, dass Facebook oder Russland theoretisch einen Wahlkampf in der Schweiz völlig legal und diskret finanzieren können.“ (Swissinfo, 5.9.2019).
Zumindest bei den Wahlen 19 hat das Geld keine grosse Rolle gespielt. Die Parteien mit den kleinsten Budgets (Grüne, Grünliberale) haben mit Abstand am meisten zugelegt.
Links:
NZZ, 2.1.19.: «Wie funktionieren Transparenzregeln in der Praxis?».
Der Bund, 20.12.18.: «Der Sieg fällt oft der meistbietenden Seite zu» (Interview mit Prof. Adrian Vatter).
Swissinfo, 5.9.19.: «Geld bleibt im Wahlkampf tabu».
Swissinfo, 23.8.2019.: «Transparenz bei der Politik-Finanzierung ist in der Schweiz ein wichtiges Thema» (Interview mit dem Chefsekretär der Staatengruppe des Europarats gegen Korruption GRECO).