Unterschriften
sind der Treibstoff der direkten Demokratie. Sie funktioniert nur, wenn sich
genügend Leute finden, die ein Anliegen mit ihrer Unterschrift unterstützen.
50’000 gültige Unterschriften von stimmberechtigten Schweizerinnen und Schweizern innert 100 Tagen braucht es, um ein Referendum einzureichen. Damit können alle Parlamentsentscheide zu Bundesgesetzen und ein erheblicher Teil der Bundesbeschlüsse angefochten werden. Zum Beispiel das Gesetz zu «Diskriminierung und Aufruf zu Hass aufgrund der sexuellen Orientierung», über das am 9. Februar 2020 abgestimmt wird.
Möglich ist auch ein Kantonsreferendum, wenn sich mindestens acht Kantone
gegen eine Gesetzesvorlage wenden. Es wurde erst einmal angewandt, als die Kantone
2003 das Referendum einreichten gegen eine Steuersenkungs-Vorlage von Bundesrat
und Parlament. Das Steuerpaket wurde 2004 vom Volk mit 66% Nein-Stimmen versenkt.
100'000 Unterschriften: Ist das viel oder wenig?
Mit 100‘000 gültigen Unterschriften innerhalb von 18 Monaten kann eine Initiative eingereicht werden, die einen neuen Artikel oder eine Ergänzung in der bestehenden Verfassung verlangt. Zum Beispiel die Volksinitiative für «Mehr bezahlbare Wohnungen», über die ebenfalls am 9. Februar 2020 abgestimmt wird.
100'000 Unterschriften für eine Initiative: das sind ca. 1.8 Prozent der Wählerschaft.
Zum Vergleich: Grossbritannien verlangt 0.2 Prozent, die EU ebenfalls 0.2
Prozent, Italien 1.2 Prozent, Kalifornien etwa 4 Prozent, und Frankreich
schwingt obenauf mit 10 Prozent der Wählerschaft. Allerdings sind die politischen
Instrumente in diesen Ländern nicht eins zu eins mit der Initiative in der
Schweiz vergleichbar. (Quelle: Paul Cébille via Twitter).
Die
geforderte Unterschriftenzahl für Initiativen und Referenden besteht seit 1977
(nach der Einführung des Frauenstimmrechts). Seither gab es immer wieder Vorstösse,
die Unterschriftenzahl wegen der gewachsenen Bevölkerung zu erhöhen. So wollte
der Bundesrat im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung in den
90er-Jahren die Unterschriften für Initiativen auf 150'000 und für
Referenden auf 100'000 festsetzen. Das fand im Parlament aber keine Gnade.
Digital geht es schneller und günstiger
Früher
postierten sich die Komitees vor den Wahl- und Abstimmungs-Lokalen und hatten so
die Stimmberechtigten und Politik-Interessierten gleich vor der Nase. Seit die
meisten Schweizerinnen und Schweizer brieflich abstimmen, ist es schwieriger
geworden. Immer mehr ist deshalb Unterschriftensammeln auch eine Frage des
Geldes: Heute bewegen sich die Kosten zwischen 2 und 6 Franken pro
Unterschrift, d.h. 200-600'000 Franken für eine Volksinitiative
(Linder/Mueller, S. 331). Die Kosten für die eigentliche Abstimmungskampagne
sind da natürlich noch nicht inbegriffen.
Die
Digitalisierung hat die Frage der Unterschriftensammlung ganz neu gestellt. Das
Referendum gegen die Überwachung von Versicherten («Sozialdetektive»), über das
Ende 2018 abgestimmt wurde, war das erste Volksbegehren, das auf digitalem Weg
zustande gekommen ist. Der Politaktivist Daniel Graf hatte die Plattform
WeCollect 2015 aufgebaut, mittlerweile ist sie in eine «Stiftung für direkte Demokratie»
überführt worden. Die Unterschriftensammlung läuft über die Sozialen Medien, die
Leute können die Unterschriftenbögen ausdrucken und einschicken. Oder sie
verpflichten sich, eine bestimmte Zahl von Unterschriften zu sammeln. Dieses E-Collecting
ist nicht nur schneller, sondern auch billiger; WeCollect betreibt standardmässig
ein Crowdfunding, die Teilnehmer schicken also nicht nur ihre Unterschriften
ein, sondern meistens auch noch Geld hinterher. So kann sich eine
Unterschriftensammlung schnell mal zu 100 Prozent refinanzieren.
Wann kommt die digitale Unterschrift?
E-Collecting
hat schon jetzt das Potenzial, die direkte Demokratie zu verändern. Richtig interessant wird es, wenn die Unterschriftenbögen nicht mehr von Hand unterschrieben und
postalisch geschickt werden müssen, sondern wenn dafür eine digitale
Unterschrift genügt. Bereits 2020 könnten gemäss Daniel Graf erste
Pilotprojekte auf kantonaler Ebene aufgegleist werden.
Literatur:
Wolf
Linder, Sean Mueller: Schweizerische Demokratie. Bern, Haupt 2017, 4. Auflage.
Der
Bund kurz erklärt, 2019. https://www.bk.admin.ch/bk/de/home/dokumentation/der-bund-kurz-erklaert.html
Höhere Hürden für Unterschriften: Gibt es in der Schweiz wirklich eine Initiativen-Flut? Swissinfo, 11. September 2016.