U U wie Unterschriften

Der Treibstoff der direkten Demokratie

50'000 Unterschriften für ein Referendum, 100'000 Unterschriften für eine Initiative: Ist das (zu)viel oder (zu)wenig? Warum ist die Zahl immer noch gleich wie in den 70er-Jahren, obwohl die Bevölkerung massiv gewachsen ist? Und welches Potenzial hat die Digitalisierung für die Unterschriftensammlung? 

Unterschriften sind der Treibstoff der direkten Demokratie. Sie funktioniert nur, wenn sich genügend Leute finden, die ein Anliegen mit ihrer Unterschrift unterstützen.

50’000 gültige Unterschriften von stimmberechtigten Schweizerinnen und Schweizern innert 100 Tagen braucht es, um ein Referendum einzureichen. Damit können alle Parlamentsentscheide zu Bundesgesetzen und ein erheblicher Teil der Bundesbeschlüsse angefochten werden. Zum Beispiel das Gesetz zu «Diskriminierung und Aufruf zu Hass aufgrund der sexuellen Orientierung», über das am 9. Februar 2020 abgestimmt wird. 

Möglich ist auch ein Kantonsreferendum, wenn sich mindestens acht Kantone gegen eine Gesetzesvorlage wenden. Es wurde erst einmal angewandt, als die Kantone 2003 das Referendum einreichten gegen eine Steuersenkungs-Vorlage von Bundesrat und Parlament. Das Steuerpaket wurde 2004 vom Volk mit 66% Nein-Stimmen versenkt.  

100'000 Unterschriften: Ist das viel oder wenig? 

Mit 100‘000 gültigen Unterschriften innerhalb von 18 Monaten kann eine Initiative eingereicht werden, die einen neuen Artikel oder eine Ergänzung in der bestehenden Verfassung verlangt. Zum Beispiel die Volksinitiative für «Mehr bezahlbare Wohnungen», über die ebenfalls am 9. Februar 2020 abgestimmt wird. 

100'000 Unterschriften für eine Initiative: das sind ca. 1.8 Prozent der Wählerschaft. Zum Vergleich: Grossbritannien verlangt 0.2 Prozent, die EU ebenfalls 0.2 Prozent, Italien 1.2 Prozent, Kalifornien etwa 4 Prozent, und Frankreich schwingt obenauf mit 10 Prozent der Wählerschaft. Allerdings sind die politischen Instrumente in diesen Ländern nicht eins zu eins mit der Initiative in der Schweiz vergleichbar. (Quelle: Paul Cébille via Twitter).

Die geforderte Unterschriftenzahl für Initiativen und Referenden besteht seit 1977 (nach der Einführung des Frauenstimmrechts). Seither gab es immer wieder Vorstösse, die Unterschriftenzahl wegen der gewachsenen Bevölkerung zu erhöhen. So wollte der Bundesrat im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung in den 90er-Jahren die Unterschriften für Initiativen auf 150'000 und für Referenden auf 100'000 festsetzen. Das fand im Parlament aber keine Gnade.

Digital geht es schneller und günstiger

Früher postierten sich die Komitees vor den Wahl- und Abstimmungs-Lokalen und hatten so die Stimmberechtigten und Politik-Interessierten gleich vor der Nase. Seit die meisten Schweizerinnen und Schweizer brieflich abstimmen, ist es schwieriger geworden. Immer mehr ist deshalb Unterschriftensammeln auch eine Frage des Geldes: Heute bewegen sich die Kosten zwischen 2 und 6 Franken pro Unterschrift, d.h. 200-600'000 Franken für eine Volksinitiative (Linder/Mueller, S. 331). Die Kosten für die eigentliche Abstimmungskampagne sind da natürlich noch nicht inbegriffen.

Die Digitalisierung hat die Frage der Unterschriftensammlung ganz neu gestellt. Das Referendum gegen die Überwachung von Versicherten («Sozialdetektive»), über das Ende 2018 abgestimmt wurde, war das erste Volksbegehren, das auf digitalem Weg zustande gekommen ist. Der Politaktivist Daniel Graf hatte die Plattform WeCollect 2015 aufgebaut, mittlerweile ist sie in eine «Stiftung für direkte Demokratie» überführt worden. Die Unterschriftensammlung läuft über die Sozialen Medien, die Leute können die Unterschriftenbögen ausdrucken und einschicken. Oder sie verpflichten sich, eine bestimmte Zahl von Unterschriften zu sammeln. Dieses E-Collecting ist nicht nur schneller, sondern auch billiger; WeCollect betreibt standardmässig ein Crowdfunding, die Teilnehmer schicken also nicht nur ihre Unterschriften ein, sondern meistens auch noch Geld hinterher. So kann sich eine Unterschriftensammlung schnell mal zu 100 Prozent refinanzieren.

Wann kommt die digitale Unterschrift?

E-Collecting hat schon jetzt das Potenzial, die direkte Demokratie zu verändern. Richtig interessant wird es, wenn die Unterschriftenbögen nicht mehr von Hand unterschrieben und postalisch geschickt werden müssen, sondern wenn dafür eine digitale Unterschrift genügt. Bereits 2020 könnten gemäss Daniel Graf erste Pilotprojekte auf kantonaler Ebene aufgegleist werden.

 

Literatur:

Wolf Linder, Sean Mueller: Schweizerische Demokratie. Bern, Haupt 2017, 4. Auflage.

Der Bund kurz erklärt, 2019. https://www.bk.admin.ch/bk/de/home/dokumentation/der-bund-kurz-erklaert.html

Höhere Hürden für Unterschriften: Gibt es in der Schweiz wirklich eine Initiativen-Flut? Swissinfo, 11. September 2016.