«Sabotierte» das Frauenstimmrecht die Demokratie?

Wie sich das Frauenstimmrecht auf die Beteiligung auswirkte

07.02.2019

Vor 60 Jahren, am 1. Februar 1959, lehnten die männlichen Stimmbürger in der Schweiz das Stimmrecht für die Frauen deutlich ab. Als es genau vor 48 Jahren, am 7. Februar 1971, doch klappte mit dem Frauenstimmrecht, veränderte das die Politik in der Schweiz nachhaltig; bei der prozentualen Stimmbeteiligung zum Schlechten, bei der Vielfältigkeit und Glaubwürdigkeit zum Guten. 

«Setzen wir die Frauen dort ein, wo sie dank ihren besonderen Anlagen ihr Bestes geben können. Das ist zweifellos nicht die eidgenössische Politik.» So schrieb das Aargauer Tagblatt im Vorfeld der Abstimmung vom 1. Februar 1959, und drückte damit eine breit abgestützte Meinung aus (wie das Abstimmungsresultat von 66% Nein auch beweist). Das war aber noch eine der schmeichelhafteren Gründe, warum die Frauen nicht stimmen sollten; es wurde auch diskutiert, ob das Frauenstimmrecht die Demokratie sabotiere oder Hitler in Deutschland an die Macht gebracht habe (lesenswert dazu: der Artikel von Jörg Meier in der AZ). 

Tiefere Stimmbeteiligung mit dem Frauenstimmrecht

Eine Befürchtung der Gegner trat allerdings nach 1971 tatsächlich ein: Die Stimmbeteiligung an den Eidgenössischen Abstimmungen sackte mit dem Frauenstimmrecht ab. Während die durchschnittliche Beteiligung vor 1971 bei ca. 48% lag, sank sie danach auf ca. 41%. Erst in den 1990-er Jahren, nach der EWR-Abstimmung und mit dem Aufstieg der SVP, stieg die Stimmbeteiligung wieder an, heute liegt sie im 10-Jahres-Schnitt bei knapp 46% (hier die Zahlen des BfS). 

Junge Frauen politisch engagierter als junge Männer

Auch heute noch beteiligen sich die Frauen tendenziell weniger an den Urnengängen als die Männer. Die Daten der Stadt St. Gallen (die als einzige die Stimmbeteiligung nach Geschlecht systematisch auswertet) zeigen eine generell leicht tiefere weibliche Stimmbeteiligung. Interessant ist aber, dass bei den jüngeren Frauen die Beteiligung höher ist als bei den gleichaltrigen Männern. Das heisst: Die jungen Frauen sind politisch engagierter, und so dürfte der Beteiligungs-Unterschied zwischen den Geschlechtern in einigen Jahren verschwunden sein. 

(In einer früheren Fassung des Artikels habe ich mich an dieser Stelle beschwert, dass die Voto-Studien zu den Eidgenössischen Abstimmungen die Stimmbeteiligung nach Geschlecht nicht ausweisen. Inzwischen bin ich eines besseren belehrt worden: Die geschlechterspezifische Stimmbeteiligung wird erfasst und im Anhang 0-2 auch ausgewiesen.) 

Vielfältiger und glaubwürdiger

Und dann noch die Frage, ob das Frauenstimmrecht die Politik positiv oder negativ beeinflusst hat? Was für eine bescheuerte Frage! Eine Demokratie, die die Hälfte der Bürger von der politischen Partizipation ausschliesst, ist (nach heutigen Massstäben) keine Demokratie. Die Politik ist vielfältiger und glaubwürdiger, wenn sie die Frauen einschliesst. Dass die Frauen tendenziell etwas linker abstimmen und wählen als die Männer, mag die einen ärgern; am Grundsatz ändert es nichts.

Und zum Schluss noch eine wirklich gute Nachricht: die politische Partizipation der Frauen ist weltweit im Aufwind. Im neusten Demokratie-Index der «Economist Intelligence Unit» war sie unter 60 Kriterien dasjenige, das in den letzten zehn Jahren am meisten zugelegt hat. 

Link: Der lange Weg zum Frauenstimmrecht, SRF, 7.2.19

Link: Claude Longchamp in der «Republik» über das unterschiedliche Stimmverhalten von Mann und Frau in der Schweiz