N wie neutral

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25.06.2019

Die Neutralität ist beliebt und gehört für die meisten Schweizerinnen und Schweizer untrennbar zum Staatsverständnis. Ganz freiwillig ist die Schweiz allerdings nicht zur Neutralität gekommen, sie wurde ihr sozusagen aufgezwungen. Trotzdem passt sie hervorragend zu unserem politischen System.

Wenn die Schweiz hilft, den Friedensvertrag zwischen der kolumbianischen Regierung und den Farc-Rebellen zu vermitteln; wenn die diplomatischen Kontakte der USA zum Iran seit fast 40 Jahren über die Schweiz laufen; dann ist das nur möglich, weil die Schweiz ein neutrales Land ist. Neutral bedeutet, dass sich die Schweiz nicht an bewaffneten Konflikten zwischen anderen Staaten beteiligt.

Aktive Neutralität

Die Schweiz betreibt eine aktive Neutralitäts-Politik. Das heisst, dass man sich durchaus an internationalen Missionen wie der Waffenstillstands-Beobachtung in Korea, den Wirtschaftssanktionen gegen den Irak oder der Friedenssicherung im Kosovo (Swisscoy) beteiligt. Ausgeschlossen ist aber eine Mitgliedschaft in einem Verteidigungs-Bündnis wie der Nato (die Mitgliedschaft in der EU würde dagegen nicht gegen die Neutralität verstossen). 

Die härteste Bewährungsprobe musste die Neutralitätspolitik im Zweiten Weltkrieg bestehen. Deutschfreundliche Kreise wollten den politischen «Anschluss ans Reich», die Gegenseite plädierte vehement für eine aktive Parteinahme gegen Hitler-Deutschland. Die Neutralität dürfte die Schweiz vor einer innenpolitischen Zerreissprobe und vor Zerstörung und Besetzung bewahrt haben (das einzige andere europäische Land, das den Krieg auch einigermassen unbeschadet überstand, war mit Schweden ein ebenfalls neutrales Land). Der Preis dafür war der Vorwurf einer opportunistischen Politik ohne Rückgrat.

Selbst gewählt oder aufgedrängt? 

Die Neutralität der Schweiz ist nicht gottgegeben, und sie ist auch nicht ausschliesslich selbst gewählt. Sie wurde der damaligen Eidgenossenschaft am Wiener Kongress 1815 auf die Nase gedrückt. Das hatte primär mit der zentralen Lage inmitten Europas zu tun – die Schweiz sollte neutraler Puffer sein zwischen dem unterlegenen Frankreich von Napoleon und dem immer wieder mit Grossmachts-Gelüsten operierenden Österreich.

Ganz neu war die Neutralität für die Eidgenossenschaft damals allerdings nicht. Bereits in den Jahrhunderten zuvor hatten sich die Alten Orte der Eidgenossenschaft zu einer Art Neutralität verpflichtet. Diese «Neutralität» hielt die Eidgenossen aber nicht davon ab, eigene Bürgerkriege und Religionskriege zu führen und Söldner in grossem Stil in verschiedene fremde Länder zu schicken (die sich dann nicht selten auf den Schlachtfeldern als Feinde gegenüberstanden).

Apropos Schlachtfeld: Auch die Erfolgsgeschichte des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes IKRK, das sich seit 1863 für den Schutz von Verletzten und Gefangenen in den Kriegsgebiete dieser Welt einsetzt, war nur möglich, weil die Schweiz als Gründungsstaat und Sitz der Organisation neutral war und ist. Genauso neutral, wie sich die Mitarbeitenden des IKRK in den Konfliktgebieten verhalten müssen.

Wieviel hat die Neutralität mit dem politischen System zu tun? 

Interessant ist, dass die Neutralität in den Lehrbüchern zum politischen System der Schweiz praktisch keine Rolle spielt. Aus meiner Sicht zu Unrecht. Denn die am Wiener Kongress verordnete Neutralität hat die Etablierung der direkten Demokratie in den Kantonen erst möglich gemacht (siehe: Adrian Vatter, S. 362). Das wiederum war die Grundlage für die Entstehung des politischen Systems auf Bundesebene (siehe auch H wie historisch). Zudem ist die Neutralität so etwas wie die aussenpolitische Entsprechung von wichtigen Prinzipien des politischen Systems der Schweiz: der Konkordanz (möglichst viele Beteiligte einbinden, niemanden ausgrenzen), und der Konsensdemokratie (das Ziel ist nicht, jemanden zu besiegen, sondern Kompromisse zu finden, zu denen alle ja sagen können). 

Hohe Zustimmung für die Neutralität

Die Neutralität steht bei den Schweizerinnen und Schweizern übrigens hoch im Kurs. In der neusten ETH-Sicherheitsstudie hat sie so hohe Zustimmungswerte wie noch nie seit 20 Jahren. 96 Prozent der Befragten befürworten die Neutralität, und 86 Prozent sind der Meinung, dass die Neutralität «untrennbar mit dem schweizerischen Staatsgedanken verbunden» sei.


Literatur: 

Thomas Maissen: Geschichte der Schweiz. Baden, Hier + Jetzt 2010.

Adrian Vatter: Das politische System der Schweiz. Baden-Baden, Nomos 2016, 2. Auflage (S. 362)

Wolf Linder, Sean Müller: Schweizerische Demokratie. Bern, Haupt 2017, 4. Auflage. 

Website des EDA zur Neutralität