F wie Föderalismus

Zwischen Zentralstaat und Kantönligeist

Die Kantone unter der Bundeshaus-Kuppel. Bildnachweis: Schweizer Parlament.
Die Kantone unter der Bundeshaus-Kuppel. Bildnachweis: Schweizer Parlament.
25.03.2019

Der Föderalismus, also das Mitspracherecht und die Autonomie der Kantone, ist eines der Standbeine unseres politischen Systems. Die Kantone haben in der Schweiz eine grosse Eigenständigkeit - soviel wie wohl in keinem anderen Staat der Welt. Trotzdem müssen sie sich gegen Zentralisierungstendenzen aus Bern wehren. Sie tun dies durchaus erfolgreich.

Sind Sie kürzlich von einem Kanton in einen anderen umgezogen? Dann haben Sie wahrscheinlich die mühsamen Seiten des Föderalismus kennengelernt. Anderes Schulsystem, unterschiedliche Gesundheitsversorgung, sogar die politischen Abläufe bis hin zum Wahlsystem können ziemlich anders aussehen. Willkommen in der Welt des Kantönligeists!

Der Föderalismus ist neben der (halb-)direkten Demokratie, der Konkordanz und dem Milizsystem eines der Grundelemente des politischen Systems der Schweiz. Föderalismus bedeutet: Die Kantone haben ein ausgebautes Mitspracherecht und eine hohe Autonomie (das Gegenteil: Der Zentralstaat nach französischer Prägung, wo noch die kleinste Gemeindeaktivität von Paris aus vorgegeben wird). Das Grundprinzip hinter dem Föderalismus ist die Subsidiarität: Der Staat soll sich nur dort einmischen, wo Kantone und Gemeinden ihre Aufgaben nicht autonom erledigen können. 

Das Ständemehr als Vetoinstrument der Kantone

Die Autonomie der Schweizer Kantone ist so gross wie in wohl keinem anderen Bundesstaat der Welt. Das drückt sich auch dadurch aus, dass die Kantone in der Schweiz über den grössten Teil der öffentlichen Gelder verfügen, vor dem Bund und den Gemeinden. Grossen Gestaltungsspielraum haben die Kantone z. B. bei den Schulen, den Spitälern, im Bereich Kultur und bei der Polizei.

Das politische Mitspracherecht wird einerseits durch den Ständerat umgesetzt, der als gleichberechtigte Kammer die Interessen der Kantone ins Parlament einbringt (oder: einbringen sollte). Andererseits braucht es für jede Verfassungsänderung neben der Mehrheit der Volksstimmen auch die Mehrheit der Kantone (Ständemehr). So kann es vorkommen, dass eine Abstimmungsvorlage zwar vom Volk angenommen wird, aber trotzdem scheitert, weil das Ständemehr nicht erreicht wird; zuletzt 2013 der Bundesbeschluss zur Familienpolitik (das Volksmehr war mit über 54% recht deutlich).

Die Kritik kommt regelmässig: Der Föderalismus werde geschwächt, wenn der Bund Aufgaben von den Kantonen übernimmt (z.B. Finanzierung der Kinderkrippen; Koordination der Spitzenmedizin). Den Föderalismus sogar auf der «Schlachtbank» sah 2017 die NZZ und deshalb die gesamte direkte Demokratie in Gefahr. Anlass war eine Studie, nach der die Hälfte der Befragten «sich nicht oder überhaupt nicht mit dem Föderalismus verbunden» fühlt. Je jünger, desto weniger. Für die NZZ ein Zeichen, dass die Schweizerinnen und Schweizer immer weniger vom Föderalismus halten. Meiner Meinung nach eher ein Zeichen, dass die Befragten das Föderalismus-Konzept zu wenig kennen und verstehen, womit wir bei der politischen Bildung in der Schweiz wären, um die es nicht allzu gut steht (ich persönlich habe in meiner Schullaufbahn das Römische Reich in allen Facetten kennengelernt, über den Föderalismus der Schweiz aber herzlich wenig erfahren).

Erfolgreiche Gegenwehr der Kantone

In einer immer komplexer werdenden Welt ist es auch aus föderalistischer Sicht oft sinnvoll, wenn der «Zentralstaat» eingreift. Zum Beispiel, wenn er die Verantwortung für Bau, Unterhalt und Betrieb der Autobahnen und anderer national wichtigen Strassen übernimmt (2008). Vorher waren die Nationalstrassen im Besitz und der Verantwortung der Kantone, was eher einen Flickenteppich ergab.

Alles in allem scheint mir der Föderalismus in der Schweiz immer noch sehr lebendig zu sein. Vor allem haben es die Kantone verstanden, den durchaus vorhandenen Zentralisierungstendenzen auf Bundesebene schlagkräftige Instrumente entgegenzusetzen. Da sind einerseits die kantonalen Konferenzen (prestigeträchtig im Haus der Kantone gleich neben dem Bundeshaus daheim), vor allem die Regierungskonferenz KdK, die in den letzten Jahren zu einem einflussreichen Mitspieler in der Bundespolitik geworden ist. Das mächtigste «Veto-Instrument» haben die Kantone bisher erst einmal ausgepackt: 2004 erzwangen sie mit dem ersten Kantonsreferendum der Geschichte die Abstimmung über das Steuerpaket (und gewannen sie auch).


Literaturhinweis: «Der Bund kurz erklärt». Als PDF oder Broschüre erhältlich bei der Bundeskanzlei.  

Literaturhinweis: Adrian Vatter: «Das politische System der Schweiz». Baden-Baden, Nomos 2016, 2. Auflage.

Link: «Auf der Schlachtbank.» NZZ, 18.5.17