Die Corona-Krise erschüttert die Schweiz und fast alle anderen Länder in ihren Grundfesten. Gefragt ist im Moment vor allem ein funktionierendes Gesundheitswesen; je länger die Krise dauert, desto wichtiger wird aber der Zusammenhalt und die Funktionalität von Politik und Gesellschaft. Das direkt-demokratische System der Schweiz liefert etliche Gründe, warum die Schweiz diese riesige Herausforderung gut (und wahrscheinlich besser als viele andere Länder) bewältigen könnte.
1. Vertrauen der
Bürger in die Regierung
Weil die Bürgerinnen und Bürger in der Schweiz mehr mitreden und mitentscheiden können als in anderen Ländern, ist das Vertrauen in die Behörden und die Institutionen so gross wie in praktisch keinem anderen Land der Welt. Gemäss OECD vertrauen 75 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer der Regierung und dem Parlament; der internationale Durchschnitt beträgt gerade mal 42 Prozent. Das dürfte in den nächsten Wochen und Monaten sehr wichtig sein, damit alle am gleichen Strick ziehen.
2. Bürgersinn und
Solidarität in der Bevölkerung
Die Schweiz ist ein
Land der verschiedenen Sprachen, Kulturen und Nationalitäten. Das klappt nur,
weil die Menschen in der Schweiz im internationalen Vergleich viel Sinn für
Zusammenhalt und Solidarität und ein ausgeprägtes Kompromiss-Verständnis haben. Sonst
würde unsere Konsens-Demokratie ja auch gar nicht funktionieren. Das alles
wird in der nächsten Zeit mitentscheidend sein, damit unser Gemeinwesen, unsere
Gesellschaft heil (und im besten Fall gestärkt) aus dieser Krise herauskommt.
3. Mit den Menschen
regieren, nicht gegen die Menschen
Während sich in den
meisten Ländern eine Regierung und eine Opposition gegenüberstehen, ist die
eigentliche Opposition im Schweizer Konkordanz-System das Volk. Die Regierung
und das Parlament müssen die politischen Vorlagen so ausarbeiten, dass sie in
einer Referendums-Abstimmung vor den Bürgerinnen und Bürgern bestehen können –
sonst war die ganze Arbeit für die Katz’. Das heisst: die Schweizer «Classe
Politique» ist sich gewohnt, mit dem Volk zu regieren und nicht gegen das Volk.
Pragmatisches, lösungsorientiertes Handeln ist Pflicht. Das gilt nicht nur für
den Bundesrat und das Parlament, sondern noch viel mehr für die Kantone und vor
allem die Gemeinden, wo die Milizpolitikerinnen wissen, wo der Schuh drückt.
4. Konkordanz als Regierungssystem
Die Schweiz ist das einzige
Land der Welt mit einer Konkordanz-Regierung. Das heisst: Alle grossen Parteien
sind in die Regierung eingebunden. Das führt meist zu pragmatischerem Handeln
als in Konkurrenz-Demokratien. Und die Chance, dass die Entscheide der
Regierung auch durch die politischen Parteien getragen werden, ist viel grösser
als in anderen Ländern. So haben alle im Parlament vertretenen Parteien mit
einer gemeinsamen Erklärung (unter dem Titel «Eine/r für alle – alle für eine/n») die
Notstands-Entscheide des Bundesrats unterstützt. Man stelle sich mal vor: Die
Linke und die AfD unterstützen gemeinsam die Entscheide der Regierung Merkel in
Deutschland…!? Undenkbar. In der Schweiz funktioniert das.
Die Behörden und die
Menschen in den Kantonen und Gemeinden der Schweiz sind sich gewohnt, selbst
Verantwortung zu übernehmen. Die Handlungs- und Entscheidungs-Kompetenzen der
Kantone und Gemeinde sind im Schweizerischen Föderalismus deutlich grösser als
in anderen Ländern. So wichtig landesweit einheitliche Vorgaben sind in der Corona-Krise, so wichtig ist auch, dass in den Kantonen und
Gemeinden so flexibel und so entschieden wie möglich agiert und reagiert wird. Die
Schweiz ist dafür gut aufgestellt.
6. Flexible und
widerstandsfähige Wirtschaft
«Ich bin optimistisch,
weil sich die Schweizer Wirtschaft als relativ flexibel erwiesen hat und weil die
Leute bereit sind, gewisse Opfer zu bringen, die der Gemeinschaft nützen, um
die Krise zu bewältigen», sagte Star-Ökonom Ernst Fehr kürzlich in der
NZZ am Sonntag. Schweizer Unternehmen haben schon viele Krisen pragmatisch und
flexibel gemeistert, und das stabile politische System legt die
Grundlage, dass die Wirtschaft gedeihen kann. Auch in Krisen- und
Nachkrisen-Zeiten.
7. Tiefe
Verschuldung = viel Geld für Hilfspakete
Dank der
Schuldenbremse und dank der «Kontrolle» durch das Volk im direkt-demokratischen
System steht die Schweiz in Sachen Verschuldung äusserst gut da. Mit Schulden
der öffentlichen Hand (Bund, Kantone und Gemeinden) von knapp 30 Prozent des
BIP (Brutto-Inlandprodukt) hat die Schweiz einen der besten Werte weltweit,
auch weit unter dem EU-Durchschnitt von ca. 80 Prozent. Es ist also genug Geld
da, um grosszügige Hilfspakete für die KMU und andere Bereiche zu schnüren (die
aktuellen 40 Milliarden Franken werden da wohl noch nicht ausreichen) und auch
eine sich abzeichnende Rezession zu überstehen.
Fazit:
Natürlich gibt es
keine Garantie, dass die Schweiz die Corona-Krise besser übersteht als andere
Länder. Und es heisst auch nicht, dass die Behörden in der Schweiz in der aktuellen Situation
alles richtig machen. Aber zumindest ist die Chance, gut und gestärkt durch die
Krise zu kommen, wegen des politischen Systems der Schweiz deutlich grösser als
in anderen Ländern.
(hier eine gekürzte Fassung als Video-Analyse auf SRF News).